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Die Seufzer, das Schluchzen, der Schmerz und die unstillbare Sehnsucht nach dem Davongegangenen - all dies ist für den Verabschiedeten ein ungeheurer Trost, den ein läppisches Auf Wiedersehen oder Gute Reise niemals haben könnte.

Adeus!

Der portugiesische Abschied.

Wenn sie sich verabschieden, sind die Portugiesen anders als andere Völker. Warum? Wenn sie sich verabschieden, dann verändert sich etwas in ihnen. Man sieht es aber nur aus der Nähe. An der Tür eines Cafés, nach einer durchzechten Nacht oder auf dem Bahnsteig kann man es beobachten: wenn sich die Leute dort trennen, blitzen Verzweiflung und Unglauben auf.

Ich habe lange gebraucht, um zu verstehen, warum das so ist.
Es kommt daher, weil der Portugiese glaubt, wenn er sich verabschiedet, dann ist es für immer.

Wenn Engländer, Franzosen oder Italiener sich verabschieden, sprechen sie vom Wiedersehen. Für die Portugiesen gibt es kein Auf Wiedersehen, kein au revoir, es gibt nur "sehen" und "nicht sehen".

Man fliegt weg und sieht sich niemals wieder. Deshalb schicken WIR die Personen, von denen wir uns verabschieden, auf direktem Wege zu Gott, adeus. Darunter tun wir es nicht.

Die Portugiesen treffen sich,
wie sie sich verabschieden
- als wäre es für immer.

Und wenn sich alte Freunde, Familienangehörige oder Liebende wiedersehen, empfinden wir eine Freude, die in keinem Verhältnis zu dieser Begegnung steht: das Wiedersehen bekommt die Dimension eines großartigen Wunders.
Die Portugiesen treffen sich auf dieselbe Art wieder, wie sie sich verabschieden - als wäre es für immer.
Jedesmal, wenn wir jemanden wiedertreffen, der irgendwann mal abgereist war, behandeln wir ihn so, als sei er gerade von den Toten auferstanden. Wir wollen es gar nicht glauben. Und rufen, übermannt von Zärtlichkeit: Also - Du bist DA! Und der andere, nicht weniger ungläubig und glücklich, antwortet ebenso intelligent: Ja, bin ich.

Deshalb ist es auch so schwierig, mit jemandem zusammen zu sein, der gerade wiedergekommen ist. Der Mensch, nach dem wir uns gesehnt haben, die Person, die wir längst verloren glaubten, ist niemals eine hundertprozentig reale Person. Sie hat immer einen Hauch von Dom Sebastião, dem verlorengegangenen König.

Grab von Camoes

Abschied nehmen - zum Beispiel vom Dichter Luis de Camões an seinem Grab im Hyeronimus-Kloster bei Lissabon

Es scheint glücklicherweise so, daß die Zeit der großen Abschiede in der Geschichte unseres Landes fürs erste vorbei ist. Seit das Kolonialreich zusammengebrochen ist und nicht mehr so viele Portugiesen auswandern müssen, hörte dieses Land auf, die Bühne für dramatische Abschiede und Wiederbegegnungen zu sein. In uns Portugiesen scheint das sehr merkwürdige Gefühle hervorzurufen.

Merkwürdig ist es auch, daß in Portugal niemand auf die Idee kommen würde, etwa ein Hin- und Rückfahrticket zu kaufen. Intelligente Menschen, die mit dem Vorortzug von Lissabon nach Cascais fahren, stellen sich lieber zweimal an, als die Fahrkarte für die Rückfahrt gleich mitzukaufen.

Und wenn es jemandem einfallen wollte, eine Rückfahrkarte Lissabon/Porto zu kaufen, bekommt er von dem Mann hinter dem Schalter mit Sicherheit zu hören: Kaufen Sie das lieber nicht, es lohnt sich nicht.

Sirenen
Sirenen könnten den Reisenden auflauern...

Der Portugiese ist davon überzeugt, daß er vielleicht nicht zurückkommt. Vielleicht wird er unterwegs sterben. Oder eine Mitfahrgelegenheit tut sich auf. Oder er trifft womöglich auf die Liebe oder das Geschäft seines Lebens und hat schlichtweg gar keine Lust mehr, zurückzukommen.
Man kann nie wissen.

Deshalb müssen sich die Portugiesen voneinander verabschieden, als würde derjenige, der geht, geradewegs in eine andere Welt fahren.

Deshalb hat man bei den portugiesischen Abschieden den angenehmen Eindruck, leibhaftig seiner eigenen Beerdigung beizuwohnen.

Die Seufzer, das Schluchzen, der Schmerz und die unstillbare Sehnsucht nach dem Davongegangenen - all dies ist für den Verabschiedeten ein ungeheurer Trost, den ein läppisches Auf Wiedersehen oder Gute Reise niemals haben könnte. •

 

Text von Miguel Esteves Cardoso