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Vor sich hin leiden... |
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"Auf diese traurige Weise verbringen die Portugiesen einen vergnügten Abend." |
Stellen Sie sich einen dunklen Keller vor, schreibt Miguel Esteves Cardoso, einen Keller voller
Schatten und Rauch. Menschen sitzen über die Tische gebeugt, in
niedergeschlagener Bewegungslosigkeit, die nur vom Hantieren mit Gläsern
und Zigaretten unterbrochen wird. |
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Eine Frau singt, den Hals vorgereckt wie ein heulender Wolf, die
Schultern in ein schwarzes Tuch gehüllt. Hinter ihr schlagen zwei
Gitarrenspieler in dunklen Anzügen in die Saiten, als hätten sie eine
seltsame, tausendfach wiederholte Strafe abzubüßen. Wenn sie so
spielen, wie sie sollen, "weinen" die Gitarren. |
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Der Fado ist ein nachtragendes Liedchen... |
Es ist nicht SCHWIERIG, o nein, es ist vollkommen UNMÖGLICH,
diese offensichtlich perverse Vorliebe der Portugiesen zu erklären. |
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Mit diesem Gesang der Sehnsucht macht der Fado traurig und bringt uns gleichzeitig das zurück, was wir am meisten begehren. Er beschwört das herauf, was noch gegenwärtig ist: unser fortwährendes Verlangen. Das Heulen des Fado wünscht nichts, erhofft nichts. Der Fado ist nur dazu bestimmt, den Göttern zu sagen, daß man sehr wohl weiß, wie gut das täte, was die Götter einem nicht vergönnen. Er ist eine Art Rache, und deshalb befriedigt er uns ein kleines bißchen. Der Fado ist ein nachtragendes Liedchen, das, in allem Leid, dem Himmel mit der Faust droht und schreit: 'Ich vergesse nicht, ich vergesse nicht..' |
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Wenn wir in den dunklen Keller zurückkehren, wo man den Fado singt und hört, verstehen wir besser, warum die Gitarrenspieler so überdrüssige Sträflingsmienen zur Schau tragen. Sie spielen ja nicht aus Spaß - es ist ihr Schicksal, ihr trauriges Fatum. Sie hätten große Ingenieure oder Ärzte werden können. Einige sind es sogar, doch das ändert nichts an der Sache - denn sie hätten, falls sie Ärzte sind, Ingenieure sein können, und falls sie Ingenieure sind, hätten sie Ärzte sein können. Es gibt nur eins, was sie NICHT hätten sein wollen - das, was sie des tückischen Schicksals wegen wirklich sind. |
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Die Zuhörer, die gutwillig das Leiden teilen, das sie als das
ihre wiedererkennen, sind da, um sich zu überzeugen, daß es keinen
Grund zum Glücklichsein gibt. Der Ort des Glücks ist der Ausgangspunkt des Fado. Wir entfernen uns von ihm und werden uns dessen plötzlich gewahr. Wir möchten zurück, können es nicht, und das macht uns traurig, tieftraurig. Aber da ist nichts zu machen. Wir sind nun mal aufgebrochen und gehen unseren Weg - gegen unseren Willen, man weiß schon, wohin.. |
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Das Glück ist nur das Rohmaterial. Der Fado ist seine
verarbeitende Industrie. Er verarbeitet es zu Saudade, ein sehr portugiesisches Wort, das die
Portugiesen für alles verwenden, was sie von der Vergangenheit erwarten
und von dem sie genau wissen, daß sie es nicht erhalten werden. |
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Text von Miguel Esteves Cardoso Weitere Glossen von Miguel Esteves Cardoso |